CATHOUSE ist existentielles Werk im Oeuvre des Künstlers Helmut Grill und besticht durch seine Komplexität in Bildaufbau und cineastischer Narrative. Der Betrachter wird von einer paradiesisch surrealen Landschaft in Bann gezogen und doch schwebt dieses Wunderland zwischen Traumerscheinung und Realität. Eine Welt, wie sie der Suchende nach seinen Wertvorstellungen und seiner Bildlogik sehen will. In diesem Entwicklungsprozess wird immer wieder das Alltägliche im Mysteriösen hinterfragt, vor allem durch das gewählte Medium der Fotografie, das Grill erforscht und analytisch zerlegt. Mit der Montage von Einzelbildern werden Landschaften erschaffen, die bis an die Grenze zur virtuellen Welt eine filmische Erzählung inszenieren. Durch die Montage von Einzelbildern entwickelt Grill ähnlich einem Regisseur neue Sinnstrukturen.
Sein Bildrepertoire bezieht Grill aus vorgefundenem Material und dem World Wide Web, das er sich als intrinsisches Vokabular angeeignet und in seinen erschaffenen Wunderwelten immer wieder neu kontextualisiert. Die Lesart eines Kunstwerkes wird sich nicht mehr eindeutig bestimmen und, was aber gerade die Rezeptionsfreiheit und Wahrnehmungsvielfalt ermöglicht. Es ist laut Blumenberg die essentielle Vieldeutigkeit, die den ästhetischen Gegenstand bestimmt. Grills Werke, die zwischen Komposition und Vieldeutigkeit oszillieren, ergeben so eine bildhafte conditio humana.

Vor CATHOUSE wird der Sehende zum Suchenden und findet den Einstieg in das Bild über einen massiven Baum am linken Bildrand. Sein von Eis filigran überzogenes Astwerk gibt den Blick auf eine Art „Garten Eden“ frei. Nur einige wie amputierte Baumstümpfe ragen in den Raum und sind trügerisches Zeichen von brutaler Zerstörung und Vergänglichkeit. Unwirklich schön legen sich zarte Zweige von Raureif ummantelt und letzte verwelkte Blätter in Eis gebannt darüber. Bunt schillernde Weihnachtskugeln hängen im Geäst und überhöhen den Moment des Surrealen. Symptomatisch für Grills Bildsprache ist der humorvolle Umgang mit aus dem Kontext gerissenen Bildattributen, die zur Traumdeutung führen und eine Kindheitserinnerung an Weihnachten oder die Vorfreude auf diese Jahreszeit erwachen lässt. Der Sinnierende begibt sich weiter auf Spurensuche und bleibt an der verlassenen Schaukel im Baum hängen, die Kindern Momente der Glückseligkeit und Freiheit wie beim Fliegen ermöglicht. Irreführend ist in diesem Wundergarten das am Baum angebrachte Warnschild: „Kinder ohne Aufsicht eines Erziehungsberechtigten werden dem Zirkus verkauft“. Wieder wird ein bedrohliches Moment induziert, eine Gefahr scheint zu lauern. Verlassen liegen Bauklötze und eine bunt schillernde Dampflock auf dem von Kinderfüssen festgetretenen Boden. Die Konnotation „Zirkus“ erweckt neue Assoziationen und wie im Theater entsteht ein Bühnenbild der alogischen Szenarien, die in Handlung, Ort und Zeit aufgelöst scheinen.
Die Löwin, klassisches Unterhaltungsrepertoire des Zirkus erscheint unter dem Baum als Wachende, eine entrückte Instanz, die den Spielplatz, oder gar die Gedanken des Betrachters ausspäht?
Von ihr aus führt der Blick in die Ferne durch eine von Nebelschwaden hügelige Landschaft hinweg zu einem Haus, über dem der Titel des Werkes CATHOUSE in Neonschrift leuchtet.

Das Haus wirkt trotzt der geschlossenen Läden als ein Ort des Refugiums. Zum Verweilen einladend und doch abgeschottet von der Außenwelt um darin Momente des Glücks und einer anderen Lebenswirklichkeit zu genießen. Der ironisch hinterfragende Umgang mit den symbolischen Lettern „CATHOUSE“ ist wieder bezeichnend für Grill. Frei übersetzt als `Käfig´ für die Wildkatze unter dem Baum und zugleich auf die freien Lüste anspielend, schürt es neue Phantasien. Unter dem gleichnamigen Titel dokumentierte der HBO Sender in einer wöchentlich erscheinenden Serie das Leben von jungen Mädchen in dem Bordell Moonlite Bunnyranch in Nevada.
Der formalen Komposition verpflichtet, findet CATHOUSE den männlichen Gegenpol in der winzigen Figur des Helden `Superman´ und seinem auf den Baumstamm gesprühten Wahrzeichen. Die Rollenbesetzung der Geschlechter wird auf humorvolle Weise in eine universelle Narrative gebettet.

Über der Türe von CATHOUSE ist, wenn auch leicht verschwommen, der Schriftzug `Kepos´ zu lesen. Ein Verweis auf Epikur und seine Philosophie, die keine wissenschaftliche Forschung, sondern als Weltanschauungslehre das Ziel hatte den Menschen in Seelenruhe und dauernder innerer Freude sein Dasein als Glück empfinden zu lassen.
So wird die Schule des Gartens, in dem sich der Philosoph mit seinen Anhängern versammelte `Kepos´ genannt. Die epikureische Lehre strebt danach dauerhaft Lebenslust und Seelenruhe zu erlangen und Angst, Schmerz und Begierde zu widerstehen. Insbesondere die Gottesfurcht als Aberglaube und ebenso die Furcht vor dem Tod lehnte Epikur radikal ab. Es ist als greife Grill dieses Fragment der Lehre mit den Symbolen der Weltreligionen über den Seitengang wieder auf. Wie Warn- oder Verbotsschilder prangen Davidstern, Halbmond und Kreuz nebeneinander aufgereiht an der Fassade. Durch die Negation einer Religionszugehörigkeit wird subtil auf religiöse Toleranz hingewiesen, der in der heutigen Welt immer wieder mit Brutalität oder gar Krieg begegnet wird. Der Künstler hinterfragt das Weltgeschehen mit seiner Theatralisierung sowohl in Bezug auf Themen und Handlung als auch der in ihr enthaltenen Symbolik.
Grill bildet nicht die Realität ab, sondern realisiert Bilder, die sich innerhalb eines Traumes entwickeln und weiterträumen lassen. Als visueller Poet inszeniert er ein Wunderland, das der Betrachter betritt und ihm viel Spielraum für eigene Wunschgedanken und Erzählungen eröffnet.

Dr. Isabella Goebel
Initiator munichmodern
Curator Kunsthaus der Kitzbüheler Alpen

1 Blumenberg, Hans: Die essentielle Vieldeutigkeit des ästhetischen Gegenstandes, in: Aller, Jan (Hrsg.): Proceedings oft he fifth International congress of aesthetics, Den Haag 1986. S. 64-70.
2 Vgl. Esslin, Martin: Das Theater des Absurden, Frankfurt a. M. 1964.
3 Vgl. Epikur: Schriften über die irdische Glückseligkeit. 
Übertragen und eingeleitet von Paul M. Laskowsky, W. Goldmann VerlagVerlag, München, 1966 .