Giacomo Costa
Ich habe Helmut und seine Arbeit in Polen, in Bielsko-Biala während eines Festivals
kennengelernt, bei dem wir beide eingeladen waren, unsere Arbeit vorzustellen.
Bevor ich jedoch seine Werke kennen lernen konnte, lernte ich ihn als Mensch
kennen. Sofort spürte ich ein starkes Gefühl und eine merkwürdige Verbindung, die
ich mir nicht erklären konnte. Von Anfang an gab es eine Übereinstimmung in
unserer Denk- und Handelsweise, ganz so, als wären wir schon von Kindesbeinen an
befreundet gewesen. Als ich dann Helmuts Vortrag beiwohnte und dabei seine Arbeit
für mich entdeckte, verstand ich das Warum dieses Gefühls.
Darum ist es einfach für mich über seine Arbeit zu sprechen, weil es so ist, als
spräche ich über meine.
Aber es verbindet uns nicht nur die Art unseres Denkens oder die Sicht der Dinge,
sondern vor allem die Art und Weise, wie wir die Fotografie wahrnehmen.
Dies ist selten und kostbar in einer Zeit, in der jeder Künstler versucht, seine
Gedanken und Gefühle auf möglichst individuelle Weise auszudrücken und deshalb
nur selten Gruppen oder Gemeinsamkeiten im künstlerischen Ausdruck entstehen.
Beim Betrachten von Helmuts Arbeiten und beim Hören seiner Worte, gelingt es mir,
das Warum vieler meiner eigenen künstlerischen Entscheidungen und Gesten zu
verstehen.
Wir sind Fotografen im tiefsten Sinne des Wortes, nur verwenden wir keinen
Fotoapparat und keine Filme. Wir benutzen den Computer, das Internet, gefundene
und schon geschossene Bilder, die wir ihres ursprünglichen Kontexts berauben, um
sie neu zusammenzufügen.
Für uns ist nicht das Subjekt vor der Kamera das einzig wahre fotografische Element.
Denn dieses ist nur ein Objekt, das man benutzt – wie eine Zutat in einem komplexen
Rezept, in dem es kein „Wichtigstes“ gibt, weil viele verschiedene Ingredienzen eben
eine großartigere Komposition ergeben.
Wir sind Fotografen.
In einer Zeit, in der alles Fiktion und alles künstlich ist, verspüren viele Menschen den
Drang, nach Wahrheit und Realität zu suchen. Viele sehen die Fotografie als ein
Abbild der Realität und empfinden deshalb Unbehagen bei der Betrachtung unserer
fotografischen Arbeit. Fotografie entsteht wie ein wissenschaftlicher Beweis, der in
der Realität aber sofort jeden Sinn verliert. Mir erscheint die reale Welt nicht
zweidimensional, fixiert auf ein Blatt Papier und vielleicht sogar noch in Schwarz &
Weiss gehalten.
Die Fotografie hat über die Jahre viele Veränderungen ihrer Instrumente gesehen,
von der Daguerrotypie zum Filmnegativ, zur Farbe, zum digitalen Zeitalter. Es gab
viele Schritte, doch die eigentliche Substanz hat sich nie verändert.
Der Künstler Helmut Grill aber bewegt sich auf einer Ebene der Täuschung, indem er
den Betrachter im Glauben lässt, eine Reproduktion der Realität zu sehen.
Das heißt, dass alles, was der Betrachter in einem Foto erwartet, auch das ist, was
der Fotograf vor seinem Objektiv gesehen hat.
Nun, es gibt nichts, was mehr täuscht. Der Künstler spielt genau mit dieser
Täuschung, mit dieser falschen Überzeugung.
Helmut ist frei.
Er ist befreit von denen, die daran festhalten, dass Seine keine richtige Fotografie sei.
Befreit von jenen die daran glauben, dass die wahre Fotografie die ist, die vor und
von einem Subjekt geschossen wird.
Helmut erzählt uns seine Geschichten, er benutzt seine Subjekte, er erschafft
Szenen, die keine Wahrheit zeigen, die aber real erscheinen und uns somit in die Irre
führen. Er schafft Paradoxa, die diejenigen verwirren, die sie betrachten, weil sie
unglaublich echt erscheinen.
Damit zwingt er uns, zu hinterfragen und zu verstehen, ob es auch wahr sein kann,
was wir sehen. Wir machen einen Seufzer der Erleichterung, wenn wir erkennen,
dass diese Bilder irreal sind, auch wenn wir uns danach die Frage stellen, was im
Kopf des Künstlers vor sich geht, das solche Visionen voller Ironie, Zynik und
Provokation entstehen lässt. Viele werden vermuten, dass sich hinter seinen Bildern
Kritik an der Gesellschaft, oder auch am Konsumwahn versteckt. Wenn man sich
jedoch in seine Werke vertieft, offenbart sich einem sein Genuss am offensichtlichen
Paradoxon, seine Freude, sein Vergnügen am Spiel mit dem Betrachter. Man wird
verstehen, dass es ihm Spaß macht, Elemente aus dem Kontext zu reißen. Elemente,
die uns normalerweise sichere Koordinaten sind, um nicht die Orientierung zu
verlieren.
Helmut hat keine Berührungsängste gegenüber der Fotografie, er benutzt sie, um
von seiner Welt zu erzählen. Einer Welt, die oft mit Leichtigkeit und Ironie
daherkommt, mit Bildern, die raffiniert und voller Intensität sind, genau so wie
Helmut Grill ist – als Mensch und Künstler.